a train of thought - lost

Ansgar Boos

Pauline streckte zuerst ihren Kopf durch die Tür und schlüpfte dann leise herein, sie trug nur ein Nachthemd. Mein Körper geriet sofort unter Spannung, aber ich sagte kein Wort. Sie ging ein paar Schritte auf mein Bett zu. "Ich gefalle dir doch", sagte sie.

Ich reagierte nicht, ich war vollkommen erstarrt, ich dachte nur, tu es nicht, tu uns das nicht an. Sie zog sich das Nachthemd über den Kopf und kroch unter meine Bettdecke. Ich lag auf dem Rücken, ich sah sie nicht an, meine Hände klemmte ich mir unter den Körper und starrte an die Decke, ich war gespannt wie eine Mausefalle. Pauline rutschte an mich heran, ich konnte ihren Atem spüren, sie roch nach Minze und Teebaumöl. Sie begann mich anzufassen, sie kraulte meinen Nacken, fuhr mir sanft über die Brust, Bauch und Schenkelinnenseiten und strich mit den Fingerspitzen unter dem Gummiband meiner Boxershorts entlang.

Ich liess es ohne Reaktion geschehen und dachte an Ansgar, wo er war, was er machte und vor allem daran, was er mit mir machen würde, wenn er hiervon erführe...

Ich drehte mich weg, anders wusste ich mir nicht zu helfen...

Ich wich Pauline aus. Ich schämte mich, ich vermied Begegnungen in der Wohnung, schlug Einladungen von Ansgar aus, gemeinsam etwas zu unternehmen. Immer gab ich vor, noch etwas zu tun zu haben, und begründete es mit Krankheitsfällen auf der Arbeit oder Müdigkeit.

Pauline liess sich nichts anmerken, sie knüpfte weiter Tag an Tag, mit der Gelassenheit einer Restauratorin, die weiss, dass sie ihr Werk wieder von vorne beginnen kann, wenn es an einem Ende abgeschlossen ist. Ich bewunderte sie dafür, und meine Verliebtheit wuchs daran. Ich liebte Pauline für ihren Verrat an Ansgar, weil er aufrichtiger war, als es die Liebe je hätte sein können. Ich wäre bereit gewesen, unsere beiden Existenzen aufs Spiel zu setzen. aber das änderte nichts daran, dass ich nichts anders gemacht hätte, wäre Pauline noch mal nachts in mein Zimmer gekommen. Es hätte alles zerstört, was ich über den Sommer lieb gewonnen hatte. Es gibt nämlich etwas, das schöner ist als die Leidenschaft: die Illusion. Ich hätte meine Illusion von Pauline zerstört, hätte ich mit ihr geschlafen. So weiss ich bis heute nicht, ob ihre Brüste spitz sind und nach oben zeigen, und das ist gut. Ich glaube, Pauline versatnd das, denn sonst hätte sie mich verachten müssen, und das tat sie nicht.

Dorian Steinhoff

1:47 p.m. - 2015-03-13